Programme 2023

Einführungstexte: Dr. Markus Zimmermann

Montag, 1. Mai 2023, 17 Uhr

Pfarrkirche St. Trudpert, Münstertal

Andrew Dewar, Orgel



BACH & REGER

zum 150. Geburtstag von Max Reger 


HAUPTORGEL:

Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Alla breve, BWV 589 

 

Präludium d-Moll, BWV 539, 1

Triosonate Nr. 3 Adagio e dolce, BWV 527, 2

Max Reger (1873-1916) 

Reger 2. Sonate 1. Satz Op. 60, 1 

 

 

CHORORGEL:

Max Reger 

Trio Nr. 2 Gigue Op. 47, 2 

Johann Sebastian Bach

Christ ist erstanden, BWV 627 

Max Reger 

Trio Nr. 3 Canzonetta Op. 47, 3 


HAUPTORGEL:

Johann Sebastian Bach 

Präludium e-Moll, BWV 548, 1 

Max Reger 

Hallelujah! Gott zu loben Op. 52, 3 

Ob Johann Sebastian Bachs große Choralbearbeitungen im 18. Jahrhundert oft im Gottesdienst erklangen, möchte man bezweifeln; selbst wenn wir unsere heutigen liturgischen Gepflogenheiten beiseitelassen und von mehr Zeit für die Feiern ausgehen. Die komplizierte Struktur etwa von „Allein Gott in der Höh‘ sei Ehr‘“ lässt eher an eine kontrapunktische Studie denken, die sich an Bachs Triosonaten orientiert. Interessant ist dabei, dass die zweite Stimme zunächst in gleicher Klangfarbe der ersten folgt, als Kanon um eine Quarte abwärts versetzt. Später übernimmt die linke Hand den cantus firmus im Tenor auf einer anderen Klaviatur, um sich von dort aus dann wiederum am anfangs begonnenen Trio zu beteiligen. Sämtliche Stimmen sind thematisch aus der Liedmelodie abgeleitet. 

 

Max Regers Orgelmusik wird selbst nach mehr als 125 Jahren mitunter noch als schwer verständlich wahrgenommen, zumal dann, wenn sie sich nicht auf eine vertraute Melodie bezieht. Dabei bieten die für das heutige Programm ausgewählten Werke wegen ihrer Kürze und ihrer strukturellen Klarheit leichte Zugangsmöglichkeiten zu Regers Konstruktionsprinzipien und Klangvorstellungen. 

 

Bereits die 1902 entstandenen Zwölf Stücke op. 65 vermitteln auf engstem Raum vieles von dem, was Regers Orgelmusik von derjenigen seiner Zeitgenossen unterscheidet: sachte ausschwingende Melodien, bizarre Harmonik mit überraschenden Umdeutungen der Akkorde, massige Schichtungen und vor allem eine extreme dynamische Bandbreite vom gerade noch wahrnehmbaren pppp bis zum Tutti. Sowohl die Rhapsodie als auch die Consolation folgen dem Formschema A-B-A. Die Erstere weist einen zurückhaltenden Mittelteil auf, während die Rahmenteile durch das Crescendo gekennzeichnet sind. In der Consolation wird die Cantilene des Beginns zum Schluss in einer verkürzten Reprise erneut aufgegriffen, wo sie dann aufwärts oktaviert, nach oben zu verschwinden scheint. 

 

Unter Regers so genannten „großen Orgelwerken“ dürfte die Fantasie und Fuge d-Moll op. 135b die am leichtesten erfassbare Gliederung aufweisen: Modulartig wechseln in der Fantasie Laufwerk und akkordische Abschnitte, die in ihrer Klangfarbe und durch die hinzukommende bzw. pausierende Pedalstimme gekennzeichnet sind. Die erste Fuge ist fünfstimmig und erstreckt sich in gemessenem Tempo über ein ausgedehntes, im pppp beginnendes Crescendo. Ihr Thema ist kreuzförmig angelegt und erinnert mit seiner Chromatik an das B-A-C-H-Motiv. Auch die zweite, vierstimmige Fuge öffnet sich dynamisch, allerdings auf der Basis des mf bis hin zum vollen Werk. Das Thema ist hier rhythmisch stark, fast marschartig gegliedert. Diese Doppelfuge enthält weder Zwischenteile, noch die für Reger typischen eingestreuten Klangkaskaden; vielmehr werden die Themen äußerst konsequent durchgeführt, was eine sehr hohe Stringenz bewirkt. – Das Werk ist ein regelrechtes „Lebens-Resümee“, da Reger darin direkt oder indirekt mehrere Themen aus früheren Werken aufgreift, die mit wichtigen Ereignissen seiner Biografie verbunden sind. Es ist „Meister Richard Strauß in besonderer Verehrung“ gewidmet und wurde am 11. Juni 1916 in der Stadthalle Hannover uraufgeführt. 

Sonntag, 7. Mai 2023, 17 Uhr

Pfarrkirche St. Martin, Staufen

Gerhard Gnann, Orgel


BACH & RINCK 



Johann Christian Heinrich Rinck (1770-1846) 

Maestoso (aus dem Orgelkonzert Nr. 2 c-Moll) 

 

Choral und Variationen über „Straf mich nicht in deinem Zorn“ 

 

Finale (aus dem Orgelkonzert Nr. 2 c-Moll) 

 

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Duetto III G-Dur, BWV 804 

 

Präludium und Fuge e-Moll, BWV 533 

 

Partite diverse sopra 

„Ach, was soll ich Sünder machen“, BWV 770 

 

 

Johann Christian Heinrich Rinck 

Adagio C-Dur, Op.57, Nr.5 

 

Aus dem Flötenkonzert in F-Dur 

3. Satz: Rondo. Allegretto 

 

 

Johann Sebastian Bach 

„An Wasserflüssen Babylon“, BWV 653 

 

Fuge G-Dur, BWV 577

Die Beziehung von Johann Christian Heinrich Rinck zu Johann Sebastian Bach lässt sich leicht nachvollziehen: Der aus einer thüringischen Lehrerfamilie stammende Rinck erhielt mit 16 Jahren Unterricht bei Johann Christian Kittel, einem der letzten Bach-Schüler. Die polyphone Satzweise und die intensive Beschäftigung mit dem protestantischen Kirchenlied sollte Rinck in seinem gesamten Œuvre beibehalten. Im Gegensatz zu Bach wurde Rinck jedoch bereits zu Lebzeiten weltweit berühmt. Ab 1805 war er Organist an der Stadtkirche in Darmstadt, bald darauf Hoforganist und Kammermusiker von Großherzog Ludwig I. von Hessen-Darmstadt; diese Position bot ihm weitreichende Kontakte. Darüber hinaus wirkte Rinck am Darmstädter Pädagogium, dem späteren Ludwig-Georgs-Gymnasium als Musiklehrer und war gefragter Orgelsachverständiger. Er wusste also genau, welche Literatur auf den damaligen Orgeln in den evangelischen Kirchen Mitteldeutschlands von den auf unterschiedlichem Niveau ausgebildeten Kräften realisierbar war. Dies spiegelt sich exakt in Rincks zahlreichen Orgelkompositionen; ihr Spektrum reicht von Sammlungen mit schlichten Choralsätzen und Intonationen bis hin zu ausgedehnten und technisch anspruchsvollen Concerti.


Wesentlichster Faktor für Rincks unglaubliche und bis um 1920 anhaltende Popularität war jedoch gewiss seine Fähigkeit, barocke Stilelemente kongenial mit jenen der Klassik und der frühen Romantik zu verbinden. So erinnern Maestoso und Finale aus dem Orgelkonzert in c-Moll deutlich an die Klaviersonaten Ludwig van Beethovens, während das Rondo aus dem Flöten-Concert für die Orgel mit seinen filigranen Solo-Abschnitten auch als Schlusssatz bei Mozart oder Haydn stehen könnte. Mit seiner einzigartigen Stilsynthese traf Rinck nicht nur den Geschmack des damaligen Publikums, sondern erfreut bis heute die Hörer, wie das seit einigen Jahrzehnten wieder verstärkte Interesse an seinen Werken beweist. 


Die Quellenlage für die Fuge BWV 577 ist ungünstig; sofern Johann Sebastian Bach tatsächlich der Autor ist, wäre diese Fuge in G-Dur in seine Mühlhauser oder Arnstädter Zeit zu datieren und dem Einfluss Buxtehudes zuzuordnen. Wie sehr die Gigue vor allem dem Cembalo zugedacht war, erkennt man daran, dass Bach das Thema fast unmerklich abändern musste, um es auf dem Orgelpedal überhaupt ausführen zu können. Eine weitere Besonderheit sind die nach französischer Manier in die Fugenkonstruktion eingestreuten Echo-Stellen. Die Herausforderung für den Interpreten besteht darin, etwaige Manualwechsel oder eine geeignete Artikulation bei flottem Tempo so auszutarieren, dass der Echo-Effekt eintritt, jedoch der Atemfluss des gesamten Satzes nicht unterbrochen wird.

BACH & BIKES

14. Mai 2023 – WANDELKONZERT IM DREISAMTAL
Start: 14:30 Uhr / Bahnhof Kirchzarten

Was wir heute Event nennen, hätte Johann Sebastian Bach vielleicht als Kurzweil oder Ergötzung bezeichnet: sich zweckfrei ganz etwas Schönem hingeben. Genau dazu lädt diese kleine Radtour ein: die Anmut unserer Landschaft, die wohltuende Atmosphäre verschiedener Kirchenräume und die anregenden Klänge von Orgelmusik zu genießen. – Nicht immer findet es Zustimmung, wenn der ehrwürdige Bach mit gefälliger, ja sogar populärer Musik in Verbindung gebracht wird. Unsere heutige Veranstaltung ist jedoch hierzu ein geeigneter Weg: Gefällig ist Bachs Musik allemal; zweifellos verträgt sie die Nachbarschaft von Werken, die auf sie Bezug nehmen und obendrein noch neue Kreise für die Orgel begeistern.

Mit Bach durch die Regio: 
Sonntag, 14. Mai  – Radtour


14:30 Uhr: Treffpunkt Bahnhof Kirchzarten

14:30 - 15:15 Uhr: Fahrt Kirchzarten - Oberried
15:15 - 15:45 Uhr: Konzert Oberried

15:45 - 16:30 Uhr: Fahrt Oberried - Buchenbach
16:30 - 17:00 Uhr: Konzert Buchenbach

17:00 - 17:30 Uhr: Fahrt Buchenbach - Kirchzarten
17:45 - 18:15 Uhr: Konzert Kirchzarten

Das Eintrittsgeld wird erhoben für die drei Kurzkonzerte in Oberried, Buchenbach und Kirchzarten. 
Der Veranstalter weist darauf hin, dass darin KEINE geführte Radtour enthalten ist – der Transfer zu den Konzertorten erfolgt in eigener Verantwortung und Haftung. 

Am ersten Konzertort In Oberried können Sie das Gesamtticket zum Preis von 12,- € bar erwerben, es besteht aber auch die Möglichkeit zum Preis von 4,- € nur an einem der Kurzkonzerte teil zu nehmen. 

Ein Vorschlag zum Radtourenverlauf ist abrufbar unter: 

Sonntag, 14. Mai 2023 

Pfarrkirche Mariä Krönung, Oberried 

Karin Karle, Orgel


BACH & BIKES I 



Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Präludium G-Dur, BWV 541,1


Robert Schumann (1810-1856)

aus: Waldszenen, op. 82:

Einsame Blumen

(eingerichtet für Orgel von Severin Zöhrer)


aus: Sechs Fugen über BACH, op. 60: Nr. I


aus: Sechs Stücke in kanonischer Form, op. 56: Nr. V


Johann Sebastian Bach

Fuge G-Dur, BWV 541,2

Der frühere Überlinger Münsterorganist, Anton Johannes Schmid, meinte einmal: „Bachs G-Dur spiel‘ ich Dir runter, wie wenn ich Rad fahr‘!“ – Das quirlige G-Dur-Präludium und die dazu gehörende tänzerische Fuge sind tatsächlich herrliche Beispiele dafür, dass Johann Sebastian Bach auch eine andere Sprache beherrscht – jenseits von Strenge und Gelehrsamkeit. Allerdings gewährt er nur selten Einblick in die wohl wenigen ganz unbeschwerten Phasen seines Lebens wie etwa die seiner Aufenthalte an den Höfen zu Weimar und Köthen, wo seine Kunst wertgeschätzt wurde. Außerdem war es damals nicht üblich, sich in seinen Kompositionen über persönliche Empfindungen zu äußern, schon gar nicht überschwänglich.


Ein Publikumsmagnet mit Erfolgsgarantie ist es seit dem 19. Jahrhundert stets, eingängige und daher dem Publikum vertraute Stücke vor allem aus der Klaviermusik auf die Orgel zu übertragen. Geradezu ein Paradebeispiel hierfür ist die Einrichtung der „Einsamen Blumen“ aus Robert Schumanns Waldszenen durch Severin Zöhrer. Man ist geneigt, die duftigen Melodiebögen mit dem damals gebräuchlichen Attribut „im Volkston“ zu versehen; sie sind mit dem aus der Mode geratenen Begriff anmutig wohl treffend charakterisiert. Die lauschige Szene ist der Oberrieder Orgel (im Kern entstanden zu Lebzeiten Schumanns) mit ihren dezenten Streicher- und Flötenstimmen regelrecht auf den Leib geschrieben. 


Sowohl mit seinen Fugen über BACH als auch mit den Canonischen Studien dokumentiert Robert Schumann wiederum seine intensive Beschäftigung mit älterer Musik im Allgemeinen und dem Werk Johann Sebastian Bachs im Besonderen. Die letztgenannte Sammlung ist für die Aufführung am heute seltenen Pedalflügel gedacht, der seinerzeit vielfach als Übe-Instrument in Gebrauch war; somit war man von winterlich unwirtlichen Kirchen und Bälgetretern unabhängig. Die zusätzliche Klangebene des Pedals erlaubt es außerdem, kontrapunktisch eigenständige Stimmen in Tenor- oder Basslage stärker hervorzuheben, wie dies in der Orgelfassung der marschartigen Nr. V aus den Canonischen Studien leicht herauszuhören ist.

Sonntag, 14. Mai 2023

Pfarrkirche St. Blasius, Buchenbach

Johannes Götz, Orgel


BACH & BIKES II 

zum 200. Geburtstag von Jaques Nicolas Lemmens



Jaques Nicolas Lemmens (1823-1881) 

Fanfare – Cantabile – Prélude 

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Passacaglia c-Moll, BWV 582

„Niemand, der Lemmens hörte, kann die Klarheit, die Kraft, die Großartigkeit seines Spiels vergessen – den kleinsten Details gab er Gewicht, doch ohne jemals das Stück als Ganzes aus den Augen zu verlieren.“ (Charles-Marie Widor über Jaques Nicolas Lemmens‘ Orgelspiel)


Ähnlich wie bei Johann Christian Heinrich Rinck beruht auch das Erfolgsrezept von Jaques Nicolas Lemmens nicht auf vordergründigen Effekten, sondern auf intensivem Studium bester Kompositionskunst, gepaart mit sicherem Gespür für Eingängiges. Beredtes Zeugnis hierfür sind die drei beliebten Sätze Fanfare, Cantabile und Pélude: Die mitreißend-aufstrebenden Motive von Fanfare sowie deren Motorik sind die geeignete Musik für eine Radtour im Frühling durch unsere schöne Landschaft. 


Lemmens war während seiner Ausbildung am Konservatorium in Brüssel durch den Bach-Forscher François-Joseph Fétis in die Orgelkunst des Thomaskantors eingeführt worden. Fétis schickte Lemmens sodann zu Adolf Friedrich Hesse (dem so genannten „schlesischen Bach“), auf dass er sich vor allem im Pedalspiel vervollkommne. – Man nahm also durchaus weite Wege und sicher manche Strapazen in Kauf, um sich bei unmittelbar im Umkreis der neu erstarkten Bach-Pflege in Deutschland über diese hohe Kunst des Orgelspiels zu informieren.


Bewegung in Form des Schreitens signalisiert bereits die Bezeichnung Passacaglia, abgeleitet vom Tanz-Schritt. In Zweitongruppen gegliedert schreitet das Motiv, das Bachs ausgedehntem Werk zugrunde liegt, voran. Rhythmische Steigerung wird erreicht, indem die Unterteilung von größeren zu immer kleineren Notenwerten voranschreitet. Somit fügt sich auch diese genuin kontrapunktische Komposition in unser heutiges Thema „Bewegung“.

Sonntag, 14. Mai 2023

Pfarrkirche St. Gallus, Kirchzarten

Karin Karle und Johannes Götz, Orgel


BACH & BIKES III



Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Toccata in d („dorische“), BWV 538 

 

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791) 

Fantasie f-Moll, KV 594 

vierhändig eingerichtet von Martin Haselböck 

 

Johann Sebastian Bach 

Fuge d-Moll BWV 539, 2

Hartnäckig hält sich für die Toccata (BWV 538) die im 19. Jahrhundert durch Philipp Spitta eingeführte, unzutreffende Bezeichnung „dorische“; sie mag lediglich zur Unterscheidung des ebenfalls in d stehenden weitaus bekannteren Satzpaares (BWV 565) dienen, das die wohl berühmteste aller Toccaten enthält. Moll-Tonarten wurden bis weit ins 18. Jahrhundert mit einem Vorzeichen weniger als heute üblich versehen, so dass d-Moll in den frühen Bach-Quellen ohne jegliche b-Vorzeichnung erscheint; dies wurde von Bach selbst später korrigiert. Viele Vertreter der Musikwissenschaft glaubten, in dieser älteren Notationspraxis einen Hinweis auf eine andere Tonarten-Charakteristik zu erkennen. – In dieser Toccata hat Bach die Manualwechsel genau eingezeichnet. Anders als bei Adaptionen von Concerti mit ihren Tutti- und Ripieno-Abschnitten sind hier zwei dynamisch gleichberechtigte, aber farblich nuancierte Klangkörper gemeint, die durch den in unveränderter Lautstärke durchlaufenden Pedalpart verbunden sind. 


Satzpaare frei zu kombinieren, war zur Bach-Zeit eine gängige Praxis, deren Wiederbelebung inspirierende Werkkombinationen ermöglicht – erst recht, wenn es sich um eine so originelle, geradezu konzertante Fuge wie BWV 539 handelt. Sie ist mehr als eine bloße Bearbeitung der bekannten Fuge g-Moll aus Bachs Sonate für Violine solo. Stimmenzahl und polyphonem Spiel sind auf einem Solo-Streicherinstrument Grenzen gesetzt. Dagegen ist die Orgelversion fünfstimmig und verfügt über eine gekonnt eingerichtete Pedalstimme sowie weitere Zusätze. Bemerkenswert ist der starke Kontrast zwischen den eng geführten Blöcken des Hauptthemas und den ausgedehnten Abschnitten ohne Bezug zu diesem. Da von Bach auch eine Adaption auf die Laute bekannt ist, liegt der Vermutung nahe, dass er mit diesem prägnanten Thema von Anfang an mehr vorhatte.


„Ja, wenn es eine große Uhr wäre und das Ding wie eine Orgel lautete, da würde es mich freuen; so aber besteht das Werk aus lauter kleinen Pfeifchen, welche hoch und mir zu kindisch lauten.…“. Wolfgang Amadeus Mozart war offenbar mit den begrenzten Möglichkeiten der damaligen Walzenorgeln nicht zufrieden und wünschte sich einen volleren Klang. Nicht nur ihm ging es so, und es verwundert daher nicht, dass sich dieses gerne gehörte Werk schon seit längerem einen festen Platz im konzertanten Literaturkanon der Organisten erobert hat. Die Interpreten müssen dabei Tonfolgen umsetzen, die eben ursprünglich für die „Maschine“ und nicht für die menschlichen Extremitäten gedacht waren. Deshalb sind Live-Aufführungen von Musik für Flötenuhren nach wie vor gefürchtet. Der technischen Herausforderung begegnen versierte Interpreten mit flinken Fingern und Füßen. Schwieriger ist es, eine Artikulation zu realisieren, die eine gute Balance zwischen dem eigentümlichen Flair eines mechanischen Spielwerks und natürlichem Atemfluss erreicht. Die Einrichtung für vier Hände und Füße erleichtert dies keineswegs, da sie noch mehr Koordination erfordert als die Solo-Aufführung. Solche Experimente und Späße waren im 18. Jahrhundert nicht selten. Wie hätte sich wohl Mozart in der deftigen Sprache seiner Briefe über dieses Ereignis ausgelassen? Vielleicht kommt ein solcher Fund noch als Licht.

Sonntag, 21. Mai 2023, 17 Uhr

Pfarrkirche St. Martin, Freiburg

Studierende der Staatlichen Hochschule 

für Musik Freiburg



BACH & Improvisation 



Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Präludium und Fuge a-Moll, BWV 543 

David Kiefer, Orgel 

 

 

Johann Sebastian Bach 

Triosonate Nr. 3 d-Moll, BWV 527 

Andante – Adagio e dolce – Vivace 

Vincent Knüppe, Orgel 

 

 

Johann Sebastian Bach 

Toccata F-Dur, BWV 540 

Niklas Jahn, Orgel 

 

 

Die Improvisationsaufgaben werden eine Woche vor dem Konzert gestellt.

Bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts bildete die überwiegend in zunftmäßiger Manier durch „Meister“ vermittelte Improvisationskunst das Rückgrat der Musik für Tasteninstrumente. Noch Wolfgang Amadeus Mozart betrachtete es als eine Art Sport, seinen prominenten Zuhörern Fugen aus dem Stegreif „vorzureiten“. Papier,
 erst recht beschriebenes und bedrucktes, war extrem teuer. Daher waren die Auflagen klein und nur in Ausnahmefällen für die Verleger rentabel. – Auch die meisten Orgelwerke von Johann Sebastian Bach basieren auf Improvisationen; viele von ihnen wurden erst später fixiert und ausgearbeitet. Denkbar ist eine solche Genese etwa für die F-Dur-Toccata, deren virtuoses Passagenwerk und akrobatische Pedalsoli ihre Ursprünge kaum am Schreibtisch haben dürften.


Als sich Ende des 18. Jahrhunderts die bürgerliche Musikkultur, insbesondere das Klavierspiel, in weiteren Kreisen etablierte, stieg die Nachfrage nach gedruckter Literatur. An den Schritt für Schritt institutionalisierten Ausbildungsstätten kehrte sich allmählich das Verhältnis um: Bis zur Jahrtausendwende wurde dort vorrangig Orgel-Literaturspiel gelehrt. Die Improvisation führte in der professionellen Musikausbildung lange Zeit ein Schattendasein und galt neben dem Pflichtprogramm als eine von wenigen Spezialisten gepflegte Kür. Eine Ausnahme bildete Frankreich, wo die Orgel-Improvisation stets hohes Ansehen genoss, deshalb auch professionell und konsequent gelehrt wurde.


Seit 2017 gibt es an der Hochschule für Musik in Freiburg erstmals im Rahmen des Studiengangs Master Musik ein Hauptfach-Modul über vier Semester, das sich ausschließlich der Orgel-Improvisation in ihren differenzierten Ausprägungen widmet. Hierzu gehören sowohl die freie Improvisation als auch diejenige nach thematischen oder formalen Vorgaben in verschiedenen Stilen. Zu den großen Formen zählen etwa Partiten, Suiten, Passacaglia oder Orgelsinfonien nach französischem Vorbild; auch Improvisation zu Stummfilmen, Texten, Bildern, Live-Performances, gemeinsam mit anderen Instrumentalisten, werden behandelt. In Kürze wird es in Freiburg auch einen Abschluss „Konzertexamen“ in Orgel-Improvisation geben.


Wie inspiriert Improvisationen ausfallen, hängt wesentlich von zwei Faktoren ab: Wie genau gibt man formale und stilistische Rahmen vor und wann wird das Thema bekannt gegeben? Zu rigide Prämissen führen allzu leicht zu kalkulierbaren musikalischen „Stilmöbeln“; zu freie Handhabung gar ohne Thema, birgt die Gefahr der Beliebigkeit. Das „Freiburger Modell“ sucht nach einem guten Mittelweg.


Die Interpreten des heutigen Konzerts stellen gleichsam Früchte des neuen Studiengangs vor, der die über Jahrhunderte gepflegte und bewährte Kunst der Orgel-Improvisation nun adäquat in der akademischen Lehre berücksichtigt und mit neuem Leben füllt.

Pfingstsonntag, 28. Mai 2023, 17 Uhr

Barockkirche St. Peter

Happy Birthday Ligeti!

Ein Wandelkonzert zum 100. Geburtstag von György Ligeti in Barockkirche und 

Fürstensaal St. Peter


Geneviève Strosser, Viola

Frederike Möller, Klavier und Moderation

Johannes Götz, Orgel und Cembalo


BACH & LIGETI 



BAROCKKIRCHE

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Pfingstchoral „Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist.“, 

BWV 667 

 

György Ligeti (1923-2006) 

Volumina für Orgel (1962, revidiert 1966) 

 

FÜRSTENSAAL

 

György Ligeti 

Sonate für Viola solo (1991-1994) 

1. Hora lungã 

2. Loop 

3. Facsar 

4. Prestissimo con sordino 

5. Lamento 

6. Chaconne chromatique 

 

Johann Sebastian Bach 

Sonata für Viola und Cembalo, BWV 1027 

Adagio – Allegro ma non tanto – Andante – Allegro moderato 

 

György Ligeti 

aus den Études pour piano (premier livre) 

Nr. 4 Fanfares 

Nr. 5 Arc-en-ciel 

Nr. 6 Automne à Varsovie

Unmittelbar nach den Orgelneubauten in St. Peter (1967) und St. Märgen (1968) traf sich die renommierte Walcker-Stiftung für orgelwissenschaftliche Forschung in erlauchter Runde am 25. bis 27. Januar 1968 im nahen Thurner-Wirtshaus. Anwesend waren bei diesem von Hans-Heinrich Eggebrecht moderierten Kolloquium „Orgel und Orgelmusik heute. Versuch einer Analyse“ der aus Ungarn geflohene Komponist György Ligeti und der auf zeitgenössische Orgelmusik spezialisierte Gerd Zacher, später Leiter der Abteilung für Evangelische Kirchenmusik an der Folkwang-Hochschule in Essen. Seine Einführung zum 1962 als Auftragswerk für Radio Bremen entstandenen Volumina von György Ligeti ist ein idealer Schlüssel, dieses komplexe Werk der neueren Orgelliteratur zu verstehen und zu lieben; Zachers Text sei deshalb auch als wichtiges Zeitdokument wörtlich wiedergegeben.


„Die Volumina von György Ligeti sind ein Werk, das dem Hörer besondere Erfahrungen vermittelt. Denn er ist gewohnt, sich an Rhythmen und Tonhöhe zu orientieren. Rhythmen aber gibt es in diesem Stück nur in des Wortes ursprünglicher Bedeutung als ‚Fuß‘, nicht als ruckartige Bewegung von Zeitpunkten. Tonhöhen treten in solchen Mengen auf, daß sie nicht einzeln definiert, sondern nur als Tongegenden oder Höhenregionen erfaßt werden können. Da so die gewohnten Orientierungsmaße entfallen, wird die Aufmerksamkeit auf etwas neues gelenkt: auf die Klangfülle, die ‚Volumina‘. Die Qualität der einzelnen Register, ihre Klangfülle, dazu die Menge der gleichzeitig erklingenden Töne, dazu die Regionen von Höhe und Tiefe, welche die Fülle verändern, – all das wird sinnfällig. Der Hörer achtet auch auf die Spielgeschwindigkeit; je länger Akkorde ausgehalten werden, umso fülliger werden sie; gesteigertes Tempo, Staccatospiel und größere Pausen dagegen verringern das Volumen. Hinzu kommen die Möglichkeiten, durch Jalousieschweller und (am Schluss des Stückes) herabgesetzten Winddruck das Klangvolumen zu verringern. So rücken Klangfülle und Klangfarbe – Qualitäten, die in der herkömmlichen Musik zwar beachtet wurden, aber sekundär blieben – als besondere Momente in den Vordergrund.“


Nahezu parallel schrieb György Ligeti in den 1990er-Jahren die sechssätzige Sonate für Viola solo und die Études pour piano. Der Komponist hatte sich inzwischen wieder traditionellen Formmodellen zugewandt. So folgen etwa die wechselnde Tempofolge und die Satzüberschriften der Viola-Sonate barocken Vorbildern. Im Gegensatz zu Volumina erscheinen hier zeitlich und thematisch 
gut abgrenzbare Motive; besonders deutlich lässt sich dies im Eingangssatz verfolgen. Angeregt wurde Ligeti zu dieser Komposition für Viola solo durch Tabea Zimmermann, deren Spiel er im Rundfunk hörte; ihr widmete er auch den letzten Satz, eine von reicher Chromatik durchsetzte Chaconne.


In der Genre-Tradition von Frédéric Chopin, Franz Liszt, Claude Debussy und Alexander Scrjabin stehen Ligetis Études pour piano, befassen sich jedoch mit neuen Klaviertechniken. Ligeti schreibt in seiner Einführung: „Es sind virtuose Klavierstücke, Etüden im pianistischen wie kompositorischen Sinne. Sie gehen stets von einem sehr einfachen Kerngedanken aus und führen vom Einfachen ins Hochkomplexe.“– Die hier ausgewählte Sequenz der Nummern 4-6 ergibt zusammen fast wieder eine Konzertform. Kerngedanke in Fanfares ist der rasche Rollentausch der Motive im polyphonen Satz. Begrenzte Melodiebögen kennzeichnen Arc-en-ciel, womit auch der Regenbogen assoziiert werden kann. Automne à Varcovie zeichnet nicht etwa eine melancholische Herbststimmung nach; vielmehr ist Ligetis äußerst virtuose Studie eine Hommage an
den Warschauer Herbst, ein jährliches Festival für zeitgenössische Musik und zugleich eine Widmung an seine polnischen Freunde.