Programme 2024

Einführungstexte: Ulrike Brinkmann


Mittwoch, 1. Mai 2024, 17 Uhr 

Pfarrkirche St. Trudpert, Münstertal 

Alena Hartmann, Tomoyo Inoue, Eunsu Kim, Mariya Khylko


NEXT GENERATION

BACH & PETR EBEN



Chororgel
Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Praeludium und Fuge c-Moll BWV 546 

Alena Hartmann 

 

Hauptorgel
Petr Eben (1929-2007) 

aus der Sonntagsmusik: 

Fantasia I  

Mariya Khylko

 

Chororgel
J. S. Bach 

Concerto d-Moll BWV 596 

Eunsu Kim 

 

Hauptorgel
P. Eben 

aus der Sonntagsmusik: 

Fantasia II 

Tomoyo Inoue

Chororgel
J. S. Bach
"Schmücke dich, o liebe Seele" BWV 654
Mariya Khylko

Hauptorgel
P. Eben
Aus der Sonntagsmusik
Moto Ostinato
Alena Hartmann


Chororgel

J. S. Bach 

aus Clavier-Übung III: 

„Dies sind die heil’gen zehn Gebot“ BWV 678 

Tomoyo Inoue 

Hauptorgel

P. Eben 

aus der Sonntagsmusik: 

Finale 

Eunsu Kim

Als sein Schicksalsinstrument hat Petr Eben die Orgel bezeichnet. Obwohl er dieses Instrument nie studiert hat, war es ein fester Anker in seinem Leben, das durch nationalsozialistische Besetzung und kommunistische Unterdrückung geprägt war. Als ‚Halbjude‘ vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, verbrachte er viel Zeit an der Orgel der St. Veit Kathedrale in Česky Krumlov im heutigen Tschechien. Während des Krieges, als andere junge Männer seines Alters zum Militärdienst eingezogen wurden, sah Eben diese Orgel als seinen Rückzugsort an. Er schloss sich in der dunklen Kirche ein und improvisierte stundenlang mit allen Farben der Register. Es ist dieses Spiel mit den Registerfarben, das ihn zeitlebens ausgezeichnet hat. Ebenso wie sein kompositorisches Schaffen, das seinen starken katholischen Glauben widerspiegelt, welcher ihn nach eigenen Aussagen durch Jahrzehnte der politischen Unterdrückung getragen und als Person geprägt hat. „Während meiner frühen Jugend schonungslos mit dem Bösen konfrontiert, bin ich im Laufe meines Lebens oft auf die Frage nach Gut und Böse zurückgekehrt. Dieses Thema hat mein künstlerisches Schaffen schon immer beeinflusst.“ 

 

Der Frage nach Gut und Böse geht Petr Eben auch in seiner Sonntagsmusik nach, deren Titel bereits besagt, dass es sich hierbei nicht um alltägliche Musik handelt. In dieser viersätzigen Orgel-Symphonie arbeitet Eben mit gregorianischen sowie freien, der Gregorianik sehr naheliegenden Themen. Das gregorianische Ite missa est aus der sonntäglichen Messe prägt den ersten Satz (Fantasia I) im markanten Kontrast zwischen „Ite“ im Tutti und „missa est“ in den Manualen, und wird am Ende der ruhigeren, auf freien Themen basierenden Fantasia II wieder aufgegriffen. Einen weniger thematischen als innerlichen Zusammenhang zeigt Petr Eben auch zwischen den beiden letzten Sätzen auf. Über den dritten Satz (Moto Ostinato) mit seinem andauernden markanten Rhythmus sagt Eben, hier „brechen die in der Bergpredigt und in der Johannesapokalypse geschilderten Kriege und Kämpfe über die Menschheit herein“. Für das Finale zeichnet er das Bild des sich entfernenden Kampfesgetümmel und einer dramatischen Trompetenfanfare, „welche nach geschlagener Schlacht die Überlebenden zusammenruft.“ Im Kontrast hierzu erklingt als Seitenthema das Kyrie, lux et origo aus der Ostermesse im Pianissimo. Nach erneutem Kampfesgetümmel keimt in der Coda ein neues Thema als „Sinnbild aller positiven Kräfte menschlicher Existenz“ auf, der Anfang der marianischen Antiphon Salve Regina. Es ist „der endgültige Sieg des Guten über das Böse und schwingt sich auf zu einem hymnischen Lobpreis des Schöpfers.“

Gespielt im Wechsel mit Werken Bachs entführen uns vier junge Talente von der Musikhochschule Freiburg in die musikalischen Welten zweier großer Komponisten. Sie nutzen dabei geschickt die Möglichkeiten der in St. Trudpert zur Verfügung stehenden Orgeln, um die Werke am zur Musik passenden Instrument wiederzugeben. 

Sonntag, 05. Mai 2024, 17 Uhr 

Pfarrkirche St. Martin, Freiburg 

Karin Karle, Münstertal


BACH & FRAUENPOWER 

BACH & JEANNE DEMESSIEUX


Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Praeludium und Fuge a-Moll BWV 543 

 

Jeanne Demessieux (1921-1968) 

Prélude et Fugue en ut op. 13 

 

aus Twelve Choral Preludes on Gregorian Chant Themes op. 8: Rorate coeli
(Choral orné) 

 

J. S. Bach 

Pastorella BWV 590 

 

J. Demessieux 

aus Twelve Choral Preludes on Gregorian Chant Themes op. 8: Ubi caritas (Ricercare) 

 

J. S. Bach 

aus dem Orgelbüchlein: 

„O Lamm Gottes, unschuldig“ BWV 618 

„Christ ist erstanden“ BWV 627 

 

J. Demessieux 

aus Twelve Choral Preludes on Gregorian Chant Themes op. 8: 

Veni creator spiritus (Toccata) 

 

Te Deum op. 11

Zu Lebzeiten als außergewöhnliche Orgelvirtuosin gefeiert, ist Jeanne Demessieux heutzutage vielen kein Begriff mehr. Völlig zu Unrecht, meint Karin Karle. Sie selbst habe erst ganz spät in ihrer Arbeit als Bezirkskantorin von Demessieux gehört, durch eine Sammlung für den Orgelunterricht. Die Idee, Demessieux in die Konzertreihe aufzunehmen, kam im Gespräch mit ihrem Kollegen Johannes Götz. „Ich bin wirklich froh, mich jetzt mal mit dieser Komponistin auseinanderzusetzen, weil ich sonst nicht auf die Idee gekommen wäre, muss ich ganz ehrlich zugeben. Das ist eine tolle Aufgabe und es macht mir richtig Spaß.“ Unverständlich auch, dass nicht alle Werke käuflich zu erwerben sind, sogar ein Prélude et Fugue en ut nicht, welches – im Vergleich zu vielen anderen ihrer Werke – wirklich spielbar ist. So stellt Karin Karle in ihrem Konzert Demessieuxs Prélude et Fugue en ut Bachs Präludium und Fuge in a-Moll gegenüber. „Das sind natürlich zwei völlig verschiedene Stücke, aber ich find’s total spannend, das zu sehen.“ 

 

Johann Sebastian Bach und Jeanne Demessieux – zwei Persönlichkeiten, die 236 Jahre trennen und doch mehr gemein haben, als es auf den ersten Blick vermuten lässt. Auch wenn Demessieux nicht das Glück hatte in eine große Musikerfamilie hineingeboren zu werden, zeigte sich sehr früh eine unglaubliche musikalische Begabung, die sie bereits als Kind in intensivem Studium und mit außerordentlichem Fleiß formte. Wegweisend und für beide Seiten unvergesslich war ein Treffen mit Marcel Dupré im Oktober 1936, aus dem eine jahrzehntelange und musikalisch äußerst fruchtbare Zusammenarbeit entsprang. Dupré unterrichtete sie – zunächst privat, später am Konservatorium – und empfahl sie als stellvertretende Organistin an St. Sulpice mit den Worten: „Sie ist die Beste, die Männer eingeschlossen.“ Ein zentraler Aspekt von Duprés Unterweisung war die Aneignung einer fehlerfreien Technik, um vollkommene Freiheit und Mühelosigkeit im Spiel zu erreichen, damit man sich voll und ganz auf die Interpretation konzentrieren kann. Diese Mühelosigkeit konnte Demessieux in ihren mehr als 700 Konzerten in Europa und drei Tourneen in den USA zwischen 1946 und 1968 unter Beweis stellen. So wie Bach spielend eine fünfstimmige Fuge improvisieren konnte, gab Demessieux bei einem Konzert in London zum Abschluss eine viersätzige Orgelsinfonie zum Besten, deren Themen zuvor von vier Musikkritikern gestellt worden waren. 

 

Die vermutlich offensichtlichste Gemeinsamkeit liegt jedoch in ihrem Werk, das nicht allein für den Konzertgebrauch, sondern auch für den Unterricht entstanden ist. Aufgrund ihrer Einzigartigkeit im Mitteldeutschen Raum diente Bachs viersätzige und weihnachtlich anmutende Pastorella dem Komponisten vermutlich als Muster dieser Gattung im Orgelunterricht. Als Prüfungsstück für die Orgelstudenten am Pariser Konservatorium komponiert, zeigt Demessieuxs Prélude et Fugue en ut ihre Vorliebe für klare, traditionelle Strukturen in einer ihr eigenen, eher konventionellen harmonischen Sprache. 

 

In ihrem Umfang deutlich kompakter als Bachs Orgelbüchlein, ist die Sammlung Twelve Choral Preludes diesem aber im Aufbau und seiner Nutzung sehr ähnlich, und wurde gar als „katholisches Orgelbüchlein“ bezeichnet. So wie das Orgelbüchlein „dem anfahenden Organisten“ dienen sollte, sind auch die Twelve Choral Preludes variantenreiche Vorspiele, die Orgelschülern unterschiedliche Handhabung von Melodien des Kirchenjahres nahebringen soll. In Anlehnung an diese beiden „Orgelbüchlein“ ist auch Karin Karles Programm aufgebaut. Sie führt uns von Advent (Rorate Caeli) über Weihnachten (Pastorella), Gründonnerstag (Ubi Caritas), die Passion (BWV 618), Ostern (BWV 627) bis Pfingsten (Veni Creator Spiritus). 

 

Den krönenden Abschluss bildet das für den Konzertgebrauch entstandene Te Deum. Demessieux selbst reiste stets ohne Noten und spielte ihre Konzerte auswendig aus ihrem Repertoire von über 2500 Kompositionen. Ihr Te Deum hatte sie bereits mehrfach vor Publikum gespielt, ehe ihr Schüler Pierre Labric sie um eine Kopie des Manuskripts bat. Daraufhin soll sie geantwortet haben, sie habe leider noch keine Zeit gefunden, es aufzuschreiben. Das Werk basiert thematisch auf drei frei gehandhabten Zeilen des „Te Deums“, welche die drei Teile der Komposition bestimmen. Neben Demessieuxs Tendenz, bekannte Melodien aus der Liturgie für ihre Kompositionen zu verwenden, ist sie in allen ihren Werken sehr präzise mit der Angabe der Registrierung. „Das gehört zu ihrer Musik dazu. Dann weiß man auch, welche Klangvorstellung sie hatte und ich freue mich darauf, das an der Orgel in St. Martin wiederzugeben“, verrät Karin Karle und bringt es auf den Punkt: „Eine spannende Frau!“

Nicht nur Jeanne Demessieux war damals eine Rarität in der überwiegend männlichen Organisten- und Komponisten-Welt. Karin Karle (*1975) ist erst die zweite von insgesamt nur drei Frauen in der Erzdiözese Freiburg, die ein Bezirkskantorenamt bekleiden. 

Donnerstag, 9. Mai 2024, 

Christi Himmelfahrt 

BACH & BIKES 

Startpunkt: Bahnhof Bad Krozingen, 

14.30 Uhr 


Station 1 – Wettelbrunn 

St. Vitus 

Karin Karle, Münstertal



Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Fantasie und Fuge c-Moll BWV 537 

 

Ludwig van Beethoven (1770-1827) 

aus Fünf Stücke für Flötenuhr WoO 33, 

 eingerichtet von Severin Zöhrer: 

 Nr. II 

 

J. S. Bach 

aus den Leipziger Chorälen: 

 „Komm, Gott, Schöpfer, Heiliger Geist“ BWV 667 

 

L. van Beethoven 

Aus Fünf Stücke für Flötenuhr WoO 33: 

 Nr. III 

 

J. S. Bach 

aus dem Orgelbüchlein: 

 „Ich ruf zu dir, Herr Jesu Christ“ BWV 639 

 

L. van Beethoven 

Grenadiermarsch für Flötenuhr WoO 29

Was ist denn bitte eine Flötenuhr? Eine berechtigte Frage, sind uns derartige mechanische Instrumente heutzutage nicht mehr so geläufig. Dabei geht ihre Geschichte bis in die Antike zurück und aus dem Mittelalter sind uns Glockenspiele als selbstspielende Instrumente noch erhalten. Flötenuhren waren kunstvolle Standuhren oder Tafelaufsätze, deren von einer Stiftwalze angetriebenen Orgelwerke auch anspruchsvolle Musik wiedergeben konnten. Zunächst den Fürsten und Königen zur Repräsentation dienlich, fand die Flötenuhr zunehmend Einzug in gutbürgerliche Häuser, Gast- oder Kaffeehäuser zur Unterhaltung der Gäste. Mit ihren musikalischen Möglichkeiten wurde sie zwischen 1750 und 1850 auch für namhafte Komponisten interessant – darunter Händel, Haydn, Mozart und Beethoven. 

 

Gleich mehrere solcher Instrumente sorgten bei einem Besuch in einer der Wiener Attraktionen Ende des 18. Jahrhunderts für musikalische Untermalung – im Kunst- und Wachsfigurenkabinett von Joseph Graf Deym. Berühmt wurde dieser durch seine lebensechten Wachsfiguren und lebensgroße Plastiken. Als Liebhaber zeitgenössischer Musik gab Graf Deym Kompositionen eigens für seine Spieluhren bei Beethoven in Auftrag. So entstanden die ersten drei seiner Fünf Stücken für Flötenuhr. In welchem Zusammenhang Beethoven den Grenadiermarsch für Flötenuhr komponierte, ist nicht gesichert; wohl aber, dass der erste Teil aus Haydns Händen stammt. Leider ist die Walze mit dem Grenadiermarsch während des zweiten Weltkriegs beschädigt worden und der originale Notentext nicht erhalten geblieben. Glücklicherweise ist sie während des Beethovenjahrs 1927 bereits ausgelesen worden, sodass wir uns an der Leichtigkeit und dem Spielerischen auch dieses Pasticcios erfreuen können. 

Donnerstag, 9. Mai 2024, 

Christi Himmelfahrt 

BACH & BIKES


Station 2 – Heitersheim

St. Bartolomäus 

Johannes Götz, St. Peter



François Couperin (1668-1733) 

aus der Messe pour les Paroisses (1690): 

Plein jeu. Et in terra pax 

Dialogue sur les Trompettes, Clairon et Tierces 

du Grand Clavier 

Dialogue en Trio du Cornet et de la Tierce 

 

aus Apothéose de Lully: 

Essai en forme d‘ Ouverture 

Wolfram Graf (*1965) 

ebene Grenze op. 98 (1999) 

 

Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Piece d’Orgue BWV 572

Die Nähe zu Frankreich nimmt Johannes Götz zum Anlass, in seinem Programm Werke französischer und deutscher Komponisten gegenüberzustellen und gleichzeitig musikalische Stil-Grenzen verschwimmen zu lassen. Im Zentrum steht Wolfram Grafs ebene Grenze, das einerseits einen starken Kontrast bildet, andererseits durch seine Atmosphäre Vorangegangenes nachklingen lässt und neugierig macht auf das, was nachfolgt. 

 

Inwieweit Johann Sebastian Bach sich in seinem Piece d’Orgue französischer Vorbilder bediente, lässt sich nicht zweifelsfrei bestimmen. Jedoch erklingt der Mittelteil der mit französischen Tempobezeichnungen (Tres vitement- Gravement- Lentement) versehenen Abschnitte als ein grand plein jeu. Das plein jeu ist der charakteristische Klang der klassischen französischen Orgel, die Kombination von Registern der grand orgue (Hauptwerk) und dem positif (Rückpositiv). Die einzigartige Standardisierung der Registrierung französischer Orgeln und Zuordnung zu einer empfundenen Stimmung führte dazu, dass Komponisten häufig Registerbezeichnungen als Satz-Titel verwendeten. Neben dem plein jeu verleihen die tierce – zwei Oktaven und eine Terz über einem stärkeren Grundton klingende Pfeifen – sowie das Zungenregister der trompette der Musik einen typisch französischen Klang. In dieser Tradition sind auch die Sätze in François Couperins Messe pour les Paraoisses betitelt. Als liturgische Musik komponiert, um im Wechsel mit dem Priester oder Chor die gesamte Messe zu gestalten, ist sie in ihrem Charakter als Suite mit einundzwanzig kontrastierenden Sätzen ebenso gut als reines Konzertstück geeignet. 

 

Couperins programmatische Apothéose de Lully ist nicht nur eine Homage an den Komponisten, sondern ein origineller musikalischer Kommentar über den damals vorherrschenden französischen und italienischen Stil. In machen Titeln der dreizehn Sätze brachte Couperin sein Ideal der Vereinigung beider nationalen Stile zum Ausdruck, wie etwa im Essai en forme d’Ouverture. Überschrieben mit der Erläuterung „Apollon überzeugt Lully und Corelli davon, dass die Begegnung des französischen und italienischen Geschmacks die Musik perfekt machen muss“ beginnt der Essai im Stil der von Lully erfundenen französischen Ouverture, während der Mittelteil eine Homage an Corelli und den Stil der italienischen Sonate ist. Zu guter Letzt werden beide Stile vereint zu dem, was Couperin als musikalische Perfektion bezeichnete. 

Donnerstag, 9. Mai 2024,

Christi Himmelfahrt

BACH & BIKES


Station 3 – Bad Krozingen

St. Alban 

Lars Schwarze, Freiburg



Johann Sebastian Bach (1685-1750) 

Praeludium und Fuge e-Moll BWV 548 

Lars Schwarze (*1994) 

Improvisation: „Im wunderschönen Monat Mai“ 

Im wunderschönen Monat Mai 

 

Im wunderschönen Monat Mai, 

Als alle Knospen sprangen, 

Da ist in meinem Herzen 

Die Liebe aufgegangen. 

 

Im wunderschönen Monat Mai, 

Als alle Vögel sangen, 

Da hab‘ ich ihr gestanden 

Mein Sehnen und Verlangen. 

 

Heinrich Heine (1797-1856)

Sonntag, 12. Mai 2024, 17 Uhr 

Bötzingen, Evangelische Kirche 

Lars Schwarze, Freiburg



BACH ODER NICHT BACH – 

das ist hier die Frage.

Johann Sebastian Bach ist nicht nur für seine Originalwerke im typisch Bach’schen Stil bekannt, sondern auch für Entlehnungen aus dem französischen oder italienischen Stil. Zudem übertrug er insgesamt 22 Concerti Vivaldis vom Orchesterstück auf Tasteninstrumente, sechs dieser Bearbeitungen sind für die Orgel. Nun mag es sein, dass sich in dieses vermeintlich reine Bachprogramm vielleicht ein Vivaldi hineingeschlichen hat oder gar eine eigens improvisierte Fälschung des Organisten. Und hier sind Sie gefragt – ist das nun Bach oder kein Bach? 

 

Mit diesem originellen Konzept begrüßt uns „der Neue“ in seinem ersten Konzert in der Reihe „Mit Bach durch die Regio“. 

 

„Der Neue“, das ist Lars Schwarze (*1994), seit Oktober letzten Jahres neuer Bezirkskantor der Evangelischen Kirche in Freiburg. Er studierte Kirchenmusik und Konzertfach Orgel in Lübeck und Stuttgart, sowie für ein Jahr an der Royal Academy of Music in London, wo er mit dem „Margaret and Sydney Lovett Prize“ ausgezeichnet wurde – nur eine von vielen Auszeichnungen, die er für sein Orgelspiel erhalten hat. Neben seiner Konzerttätigkeit ist er auch als Komponist tätig mit Aufträgen u.a. für die „Nordischen Filmtage“, das Weltkulturerbe Fagus-Werk und die Temple Church London. 

 

Das heutige Konzert ist in drei Blöcke unterteilt. Auf Ihrem Stimmzettel können Sie ankreuzen, ob Sie meinen, das jeweilige Stück sei ein originaler Bach, ein Werk Vivaldis oder eine originelle „Fälschung“ von Lars Schwarze. Die Auflösung gibt es im Künstlergespräch mit Ulrike Brinkmann. 

 

Stimmen Sie ab, lernen Sie „den Neuen“ im Gespräch kennen und finden Sie heraus, ob Sie ein wahrer Kenner der Bach’schen Orgelmusik sind.

Pfingstsonntag, 19. Mai 2024, 17 Uhr 

Barockkirche St. Peter 

 

Johannes Mössinger, Piano 

Bastian Jütte, Schlagzeug 

Johannes Götz, Orgel



BACH & JAZZ 



Johann Sebastian Bach (1685-1750)

Fantasie und Fuge g-moll BWV 542

J.S. Bach / Johannes Mössinger (*1964)

Andantino in g-moll

J.S. Bach

Fuge e-moll BWV 879,2

J.S. Bach

aus dem Orgelbüchlein: Christ ist erstanden BWV 627

J.S. Bach

aus der Orchestersuite in D-Dur 1068:

Air

Gregorianischer Choral, Melodie aus Kempten (um 1000)

Veni, creator spiritus

Bastian Jütte (*1973)

Solo für Schlagzeug

J.S. Bach

Toccata, Adagio und Fuge

Andreas Willscher (*1955)

My Bach

  

Wenn man sich die Popularität der Verbindung von Bach und Jazz vor Augen führt, kann man sich nicht vorstellen, dass diese im Falle des berühmten Pianisten Jacques Loussier (1934-2018) aus einem Missgeschick entstanden ist. Als Student am Pariser Konservatorium nahm er an einem Wettbewerb teil, bei dem er ein 
 Präludium von Bach spielte, den Faden verlor und kurzerhand improvisierte. Ende der 1950er Jahre eroberte er die Jazz-Welt mit seinen legendären wie zahlreichen „Play Bach“-Einspielungen. In seiner Jugend war auch Johannes Mössinger einer seiner großen Fans, „weil Bach so richtig präsent war mit all seinem Anspruch und er improvisatorisch toll da drin war.“ 


Mössinger verrät im Gespräch allerdings auch, dass es ihm heute nicht genügt, ein Stück von Bach mit einem Swing-Rhythmus zu unterlegen und als „spielerischen Bach à la Jazz“ zu deklarieren. „Ich spiele dermaßen gerne Bach’sche Originale und dann interessiert mich, ausgehend von so einer Vorlage, was würde ich weiter komponieren oder auf was für Ideen komme ich dann.“ Es geht vielmehr darum, auch der eigenen Stilistik Raum zu geben. Doch die Frage bleibt, „wie stark bleibe ich am Original, wo gehe ich weg, was für eine Form gebe ich mir da. Das ist natürlich immer auch ein Wagnis, eine spannende Auseinandersetzung.“ Die große Chance dieser immerwährenden Auseinandersetzung ist eine enorme Vielfalt. Aus jeder Bach’schen Idee entsteht ein Stück mit einem neuen, ganz anderen Charakter, „und das reflektiert dann schon wieder mehr das eigene Schaffen, sodass man da in einem Spannungsverhältnis steht.“ Den Respekt für die Bach’sche Musik braucht es in jedem Fall, „aber man darf sich nicht hintenanstellen, sonst wäre es ja später nicht der eigene Jazz.“ 


Warum gerade Bach so beliebt ist im Jazz? Bach ist auf der Schnittstelle zwischen Form und Improvisation, kompositorisch rückwärtsgewandt und gleichzeitig der Musikgeschichte um Jahrhunderte voraus. „Es ist das Magische an ihm, dass man an so vielen Punkten andocken kann.“ Nicht nur Mössinger selbst, auch viele andere berühmte Musiker nehmen sich gerne ein Stück von Bach zum Studium vor, um sich vom alten Meister inspirieren zu lassen, „weil man da einfach so viel mitnehmen kann in die aktuelle Musik.“ Choräle wie Christ ist erstanden und Veni, creator spiritus bieten mit ihren einfachen Melodien inspirierende Ausgangspunkte. Genau wie die klar strukturierten Themen der Fugen eröffnen sie geradezu ein Spielfeld für Improvisation. So werden die Verse des Christ ist erstanden im Original zu hören sein, im Wechsel mit Improvisationen des Trios – in einer Art Ruf-Antwort-Prinzip. „Das sind natürlich Gelegenheiten, bei denen man erleben kann, wie vielfältig Improvisation aus dem Moment heraus sein kann.“ 

Weniger aus dem Moment heraus, sondern von Mössinger arrangiert wie man es klassischerweise für Jazz machen würde, ist die Sinfonia g-Moll. „Man übernimmt die Melodie, den Hauptgedanken von dem Werk, und setzt das in ein sogenanntes Leadsheet, sprich eine Melodie mit Akkorden, über die man dann gemeinsam improvisieren kann. Man hat das als feststehende Stück quasi in eine Jazzwelt übernommen.“ Ein ganz anderes Vorgehen wie bei der Fuge e-Moll, bei der Mössinger zunächst die Fuge spielt, auf die ein Stück folgt, „das die Motive aufgreift, aber ganz anders gestaltet ist“. So gibt es unterschiedliche Ansätze mit dem Ausgangsmaterial Bach umzugehen. An verschiedenen Stationen im Konzert wird die Musik „auch noch in freiere Welten überführt.“


Dabei spielt nicht nur die ungewöhnliche Besetzung mit Orgel, Klavier und Schlagzeug, sondern auch der Raum eine große Rolle. Mit Bastian Jütte am Schlagzeug erhält die Musik ein ganz wichtiges rituelles Element, um die Musik nochmal zu verändern. Mit seiner Fundierung im Sound kann hier die oftmals sehr rhythmische Musik Bachs in der Zeit viel freier dargestellt werden. Für das intime Zusammenspiel bietet St. Peter die optimalen Voraussetzungen. „Das ist ja im kirchlichen Raum selten so möglich. Es ist wichtig für die Improvisation, dass man sowohl klanglich als auch räumlich eng miteinander kommunizieren kann.“ Im Ensemble zu improvisieren heißt immer, sich auf die anderen einzulassen und aufmerksam zu sein; gerade, weil „Improvisation in erster Linie passiert.“ Es ist die Frage, wer gerade mehr Führung übernimmt und zu entscheiden, ob man mitgeht oder einen Kontrapunkt dazu setzt. „Wie agiere ich, um die Musik, die gerade ist, vorwärts zu bringen.“ Manchmal hat man schon von Vornherein eine Idee, „aber manchmal ist auch spontan eine Dynamik da, auf die alle einsteigen.“ Gerade diese Dynamik ist einzigartig im Konzert, wobei auch das Publikum eine große Rolle spielt. In der Konzertsituation kann man als Musiker auf Stimmungen eingehen, sodass jeder Auftritt einzigartig bleibt. „Das Schöne in der Welt der Improvisation ist ja, dass man auch als Zuhörer immer wieder überrascht wird und teilnimmt an einer Art Hörabenteuer.“